Montag, 22. Oktober 2007

Weißt du, was...

Gedanken sind blau
(VERALTET NACH N-FACHER ÜBERARBEITUNG)

Kennst du das?
Knüpfe mir Schwingen aus Blut, Schweiß und Tränen.
Gedanken sind blau.



Wecker: Piep. Träger Blick, Umdrehen, Fröhlich in den Morgen lächeln: Mir lächelt golden im Morgen das Fenster zurück, grün-zwitscherndes Blätterrauschen dringt durch den Spalt: Kein Drinnen, kein Draußen, nur Leben, nur Welt.
Am Spiegel vorbei, Wer sieht mir entgegen? Warme Vertrautheit, wacher Blick tanzt mit sich und entfliegt.
Minuten sinnlos gezogen: Momente in denen das Herz nach draußen drängt; drängt vorbei am Bewusstsein, drängt hinaus in die Welt, dann fällt die Tür ins Schloss, und das kleine Schild über der Klingel herab: keine Werbung, klingt es glockenhell, hell wie der Morgen ist.
Strahlender Blick: Einäugiger Zyklop des Himmels, blinzelt wohlwollend auf mich herab: Lässt einsame Schäfchen hinter den Horizont ziehen, und liebkost meine Wangen mit sanftem Hauch: Angenehm kühl noch, schmeichelnd weich: zarter Hirte. Schönheit, glänzende Stunden verheißend: Ich genieße den Morgen: seinen Atem warm schmeckend, genieße und atme tief.
Schöner Morgen, ja lieblicher Alltag, hinein, genieße Gewohnheit und vertraute Orte, ne; Ich genieße den Tag, freue mich verdammt auf diesen Tag, der so verheißungsvoll erwacht.
Weißt du, was mein Herz so hoffnungsvoll erwachen lässt?
Ich umgreife den Eschenstab, gleite mit der Hand über das feine Holz, fasse ihn fester und trete in diesen lächelnden Tag: gerüstet zu leben, zu lieben, trübe Gedanken dem Hirten gleich hinter den Horizont zu treiben: Hirtenstab in meiner Hand.
Der Stab knirscht durch losen Kies, Split, Steinchen, Staub: Verlorene Gedanken: als Staub aus der Luft gefallen, entflogene Gedanken, ihr Himmelblau grau getrübt: den denkenden Menschen verloren verfliegt das Blau. Tote Gedanken, oder besser: Gedanken Toter, sind grau. Die Gedanken der Toten sind der Staub unserer Straßen, und welch erhebendes Gefühl: mit einem Atemzug unzählige vergangene Gedanken zu atmen; entflogene Seelen zu fühlen -- warme Seelen, die die Wangen streicheln. Seelen, Seelen und Gedanken auf dem Wind.
Lebende Gedanken, gerade gedachte Gedanken schweben blau: steigen euphorisch empor, die Sonne suchend, ihrer Wärme entgegenschwebend, zum Licht, die Freiheit des Geistes genießend: Färben den Himmel in seinem Sommerblau.
Denken die Menschen froh und lebendig, so ist der Himmel blau und der Morgen hell und mein Herz tanzt mit meiner Seele im Wind der Gedanken der Welt.
Weißt du, was mein Herz so fröhlich durch die Morgensonne tanzen lässt?
Entschwebende Gedanken, ins Blau und ich steige durch zischende Türen.

Zeitungsrascheln. Scheue Blicke empfangen den Neuankömmling und gleiten, bevor fassbar durch meinen Blick, wieder davon: Aus dem Fenster, in den Morgen, über die Frau am Bahnsteig: alt und müde geht sie langsamen Schrittes die Gleise entlang, der Blick ergraut im verhärmten Gesicht, schiebt einen einsamen Einkaufswagen vor sich, mit Trödel und Plunder und Müll und ihrem ganzen Hab und Gut. Blickt suchend in Mülleimer, greift in den Wohlstanddreck, den Überfluß der Gesellschaft: Überschuß der Gesellschaft greift in den Überfluß der Gesellschaft; Überdruß in ihren Augen? Kapitalistischer Wohlstand ist neunzig Prozent Müll: Wohlstand ist Überfluß. Mir ist der Wohlstand Überdruß. WANN KANN ICH ENDLICH IN EINEN SUPERMARKT GEHEN UND KAUFEN WAS ICH BRAUCHE ALLEIN MIT MEINEM INTELLEKT? Dann, zischend die Tür wieder, schließende Kiefer, und der Einkaufswagen scheppert umgestoßen und ein Blinzeln darauf ein rotes Morgengesicht presst seine verquollenen Augen wahnsinnig an die Scheibe zu spät in diesem Moment da die S-Bahn mit mir entrollt.

Die wahnsinnigen Augen gleiten aus meinem Blick, die alte Frau? Was tut sie nun, ihr Hab und Gut verstreut? Ihr Haus zerstört? Ihr Leben? Schon lange zerstört.
Hinter der Scheibe entgleitet die Szenerie, Bild ohne Ton, meiner Wahrnehmung.
Zeitungsrascheln. Einige Blicke treffen sich, dann der morgendliche Dämmerblick wieder in allen Gesichtern.
Ich setzte mich, gegenüber einer Bild-Zeitung: JUNGE MIT 3 BRÜSTEN GEBOREN!!!
Zeitungsrascheln, die Bild-Zeitung blickt mich an: zwei Brüste.
Meinen Eschenstock grinsend in die Ecke gestellt neben mir: der übliche Trick: mit dem Knie unten fixiert, den Oberkörper dagegengelehnt und die verstohlenen Blicke darauf ignoriert.
Zeitungsrascheln.

Erlebnisleere Momente, ich studiere Blätter und Texte und Skizzen und Diagramme und Zahlen und Tabellen und schweige still. Schweife mit den Gedanken aus, reiße mich zurück -- aber so schön wie dieser Morgen ist, wie könnte ich tanzende Symbole auf dem Papier betrachten? Vorbei der Mohrentanz mit Kappen aus Indizes; S-Bahn-Lichter in der Dunkelheit? Gedanken, die gerissene Scheibe, Gedichte. Resedenduft durch kranke Fenster irrt. Ein alter Platz, Kastanien, schwarz und wüst. Das Dach durchbricht ein goldner Strahl und fließt auf die Geschwister, traumhaft und verwirrt. Im Spüllicht treibt Verfallnes; leise girrt der Föhn im braunen Gärtchen; sehr still genießt ihr Gold die Sonnenblume und zerfließt. Durch blaue Luft der Ruf der Wache klirrt:
Hauptbahnhof.
Das Zeitungsrascheln, die Bild-Zeitung ist verschwunden: Resedenduft? Duft intensiv, mir zuwieder, fusselig blonde Haare hinter einer Zeitschrift. Rosa Resedenduft. Promis and More. Blick hinaus wieder: schwarz. Tunnel, aber lieber Schwarz als altes Rosa. Nur noch Minuten.
Mein Blick schwankt zurück in die Welt. Rosa. Höher. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Ich bin die süddeutsche Plakatmission. Ich, Jesus Christus, mache alles neu.
Das übliche Rumpeln, ich richte mich/atme auf, die Studenten sehe ich nun alle: Schnappen ihre Rucksäcke, ich den meinen, stehe auf und steige durch zischende Hydraulikkiefer zurück in die Welt.
S-Bahn-Lichter verschwinden in der Dunkelheit.

Erstmal geht's in die Uni, Leute und ihre Eigenarten begrüßen (Lachend tanzte das Narrengesicht vor seinen Augen, ihm Guten Morgen wünschend, röhrend seinen Namen durch den Raum rufend, niedersitzend seinen Bauch umarmend, dann fröhlich narrenschellend hinaushüpfend, grüßend begrüßt, lachend geschwatzt frohen Narrengemütes). Davor noch irgendwo den Tau vom Morgen streichen (Weißt du, was mein Herz so glücklich den Tau vom Morgen streichen lässt?), tunlichst in übertragener Form, da warm und kein Tau mehr. Eine Vorlesung anhören.
Über die Seite bewegten sich...
Diskussionen, mit Dozenten, dunkle Männer in Weise und Bewegung, die in ihren Spottspiegeln die obskure Seele der Welt aufblitzen lassen, eine Finsternis, leuchtend im Licht, doch vom Licht nicht begriffen.
Verzweiflung meiner Gedanken: Hemd vom Leib reißen, über die Tische klettern: Brüllen, DIE WELT ALS WILLE UND VORSTELLUNG? SOLL DAS DIE WELT SEIN? Vorlesung verlassen, Befreiung,
-Hast du Theo gemacht?
Ich nicke, mein Blick erkennt sie, ich helfe gerne. Blond nickend. Versteht sie? Nickend, durchaus, aber versteht sie? Meine Gedankenwege wandern allzuquer, folge ich ihnen doch selbst nur mühevoll, Mohrentanz durch Labyrinthe: Nur vorbei mit dem Mohrentanz, Schwingen meinem Geist zu knüpfen, aufsteigen und dem Labyrinth meiner Gedanken entfliehen: Der Sonne zu nahe: Ertrunken. Langsam steigen und verstehen was ich tue: Ich will schneller hinaus und hinauf. Der Sonne entgegen. Ein blondes Lächeln blickt mich fragend an und meine Gedanken zurückreißend lächle ich zurück,
-Sorry, ich war abwesend.
-Wie berechnest du da bei der Aufgabe die Suszeptibilität, fragt mich das Lächeln.
Ich murmle Worte, denke,
-Kann ich den Stift kurz haben? Ich muss das Schreiben. Ich kann nur auf Papier denken, meine ich, indem ich den Stift aufsetze.
Mohrentanz in zittrigen Strichen. Mohrentanz in unsicheren Schritten. Rock'n'Roll auf dem Papier, die Indizes tanzen auf mein Kommando, manche sich sträubend, aber in meiner Gewalt. Ein fragendes Blond unterbricht.
-Wie kommst du darauf?
-Ich weiß es nicht. Ideen... Ideen sind eben da.
Der Ort, wo die Ideen leben.
-Mein Eschenstock.
Mein Blick wandert, der Kopf wird mir warm und rot, wo ist mein Eschenstock? Verwirrtes Blond.
Meinen Eschenstock suchen.
Erkläre die Aufgabe fertig, wenige Worte noch, kurz zögernd, bring es zu Ende, nein, Stift fallen gelassen über der unvollendeten Erklärung, meinen Eschenstock in der S-Bahn vergessen, nun hinaus meinen Eschenstock suchen, ich springe auf und verlegen grinsend in ihre blonde Verwirrung wende ich mich um und ein Gedanke steigt, im Gedachtwerden unterbrochen, tiefblau in den Himmel. (Lalala...)
Hinaus, vorbei der Mohrentanz mit Kappen aus Indizes: Meinen Eschenstock suchen.

Ich vergaß dein Lächeln wie einst die Vernunft--

Schnelle Schritte;
(S) - die Treppe hinunter.
Zischen, Rumpeln, Stahlkoloss im Erdreich.
Zweifel: den Eschenstock wiederfinden? Stahlkoloss, allverschluckend, fern und verschwunden, meinen Eschenstock hinter hydraulischen Kiefern verloren. Hoffnung?
Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird mein Eschenstab drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein. Zu lang. Einen neuen brechen.

Ein Betrunkener taucht auf in meinen fernen Gedanken, ausgespieen von Hydraulikkiefern zwischen Müllbehälter, lallender Prophet.
Atmet seinen Alkoholhauch in mein Gesicht. Erbrochenes in seinem Bart. 'Dorian' lettert das verfallene Logo auf seiner Brust.
Ich weiche zurück, er spricht mir unheilvoll in den einst glücklichen Tag.
Prophezeiend, panischer Ton, Ende der Welt, rotierende Augäpfel, nur unverständliches Genuschel weiter, ich ignoriere, in die Welt, ins Glück, in den glücklichen Morgen zurück die Rolltreppen hinauf, kein Ende, einen Eschenstock brechen.

Verlasse die Welt, einen neuen Eschenstab zu brechen: Alltag aufgebrochen: neue Wege, fröhliche Felder, weitausschreitend, Glück und Freiheit, auf meinen Füßen schweben, fliegend: Weißt du, was mein Herz so freudig von Stein zu Stein hüpfen lässt? Über die Schulter blicken: Die Betonphalli nicht mehr zu sehen hinter mir, Betonphalli des Geistes hinter dem Wald in meinem Rücken verschwunden. Sprung von Stein zu Stein, große Steine im Grün des Wegrandes. Sonnenblumen auf dem Feld. Sehr still genießt ihr Gold die Sonnenblume und zerfließt.
Holunderbusch. Wo der Fuchs seine Großmutter begrub?
Noch dämmerndes, am Mittag erwarmendes Tal. Warmer Sommerwaldrand und sumpfige Wiesen am Bach, klein-blaubetupft. Fische Trümmer Leichen und Leichenteile treiben vorbei? Resedenduft am Waldrand, sanftes Sternmoos dahinter.
Weißt du, was es sich so friedlich zur Ruhe betten lässt in blauem Vergissmeinnicht?

Als ich aufwache im Moos liegt sie neben mir. Einen Meter Abstand, ein Stück, sie sieht in den Himmel. Als ich aufwache: Sie reagiert nicht, dann langsam sieht sie mich an, kurz zieht ein Lächeln zaghaft über ihre Lippen. Dann schwindet es; ihr Gesicht? Fragend, unsicher. Das meine verblüfft leer. Ich sage nichts. Schweigen minutenlang, blicken uns an, fragen uns still.

-Hallo.
Meine Worte klingen fremd im Wald. Tief, und schwach, eine sanfte Männerstimme: nur in der Kehle klingend. Ich?

Sie lächelt wieder kurz blond, nur ein Hauch auf ihren Lippen.

Minuten. Der Wald ist leise geworden. Der Bach schweigt. Die Vögel schlafen. Lange Minuten, Zeit? Bedeutungslos.
Sie kennt das Blau. Sie kennt die Gedanken. Wir legen uns zurück, armweit entfernt, und blicken wieder in den Himmel. Unsere Gedanken haben das selbe Blau.

Irgendwann spreche ich wieder:
-Mein Eschenstock.
-Ich weiß, sagt sie. Jetzt weiß ich es.
Weißt du, was mein Herz am warmen Mittag in den Wolken sieht?
-Ich dachte, etwas stimmt nicht mit dir, sagt sie. Da folgte ich dir und legte mich neben dich. Deine Gedanken haben das selbe Blau wie meine Gedanken, und da sah ich ihnen nach und genoß sie.
-Ich weiß, sage ich, murmele ich, flüstere ich, denke ich.
Weißt du, was es dann in sanftem Blätterrauschen hört?
Nur ein Traum? Gedanken sind doch nicht blau. Wer soll Gedanken sehen können?
Ich stand an der Küste und redete mit der Brandung. Sang mit dem Wasser lala lalalala
and now i'm sick of joking you know i like you to be free where do you think you're going?
i think you better go with me... girl. lalala das Wasser, oh nur ein müder Bach.

Schweige still!
Ich springe! Pralle auf! Wasser spritzt in alle Richtungen!
Lasse den Kopf zurück sinken,
ergeben vor dem Leben.
Nimm mich! flüstere ich still.
Süßer Schmerz,
Tränen in meiner Nase, ich blinzle,
aber AH! wie ich sie genieße.
Goldene Flammen lecken aus meinen Augen, Mund, Kopf,
prickelnd wie Sekt tanzt mein Blut im Magen, rasend,
Ich breche aus.
Frei und ungebändigt renne ich durch die Hügel,
mein Heulen ist heiser und lacht,
triumphal jubelnd,
lasse es meiner Seele entfliehen, mit dem Wind:
Nicht Gedanken sind blau!
Ich trenne mich von mir; Reiße mir die Dornenkrone der Gedanken aus dem blutenden Schädel. Weg soweit die Füße tragen. Die Kobolde sehen, ihre Lichter, den Wald lachen hören;
und ich habe Schmerzen und lache mit ihm, und laufe um Schmerzen zu haben, laufe, weil ich Schmerzen will: Weil Schmerzen Leben sind. Und dann will ich brüllen.
Dann schreie ich dich an, dann gehe ich hinaus und weine, setze mich an den Rand des Felsens, und lasse unbeschuht die Füße hängen, die Sochen niederflatternd indess, dem trutelnden Fall der Schuhen hinterher. Blicke hinaus in diese Welt, die nicht die meine ist, und lege meinen blutigen Kopf an deine blonde Schulter.
Weißt du, was mein Herz dann in die rote Abendsonne träumt?






Meinen Eschenstock? Habe ich noch ein Mal gesehen, an Dorians (wie ich ihn stets im Geist genannt) Seite, in einem soviel späteren Moment, so unerwartet.
Sein verfallener Körper ruht nun wohl einsam irgendwo vergessen, wo mein Eschenstock darüber Wurzeln geschlagen, Blätter getrieben, wohin auch immer getragen.
Der Mouleur, an dem ich jeden Tag vorüberkomme, hat zwei Masken neben seiner Tür ausgehängt. Das Gesicht der jungen Ertränkten, das man in der Morgue abnahm, weil es schön war, weil es lächelte, weil es so täuschend lächelte, als es wüßte. Das andere?

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